Schatten über einer alten chinesischen Volkskunst

Chinas Schattenspiel lebt. Doch hat es eine Zukunft?
Li Wenjiao, 77-jähriger Meister des Schattenspiels aus dem Kreis Exi in Hubei, hat Sorgen, wie die Guangming Daily in einem schön bebilderten Artikel vom 8.1.2013 berichtet. Li hat nicht nur beliebte traditionelle Stücke wie „Wusongs Kampf mit dem Tiger“ und „Die Geschichte von der goldenen Haarspange“ im Repertoire, er kreiert Schattenspiele aus traditionellen Geschichten und stellt Figuren, Requisiten und Musik selbst her.

In den 60er Jahren war seine Schattenspieltruppe noch gut im Geschäft, mit Tages-Vorstellungen von über sechs Stunden und einer zusätzlichen Abendvorstellung.
Nach der Landzuweisung an die Bauern in den 80ern jedoch blieben viele seiner insgesamt 160 Figuren das ganze Jahr in der Kiste. Obwohl die Lokalregierung diese alte Volkskunst schützen und am Leben erhalten will, wird er wohl keinen Nachfolger haben. Zwar hat er Lehrlinge, aber sie sind selbst schon 61 und 66 Jahre alt. Li beklagt, dass es kaum mehr Engagements für seine Schattenspieltruppe gibt.

Besser scheint es um das Schattenspiel im Kreis Pingjiang, südöstlich der Stadt Yueyang in der Nachbarprovinz Hunan, zu stehen. Pingjiang hat noch über 100 Schattenspieltruppen und fast 300 Spieler, berichtet die Zhongguo Wenhua Bao in einem Artikel vom 9.1.2013.

Früher sei das Schattenspiel äußerst populär gewesen, sagt Deng Qingquan, Vize-Sekretär der Vereinigung für Volkskünste der Stadt Yueyang.
Trotz vieler Aufführungen hatte man den Ehrgeiz, kein Stück am selben Ort zu wiederholen. Es wurden aus einem Fundus von Märchen, Romanen und ländlichen Anekdoten ständig neue Stücke kreiert. Nach offiziellen Statistiken umfasste 1984 das Repertoire der Truppen von Pingjiang 1280 Dramen, die als Potpourris aus Opernszenen, ungekürzte Stücke und ganze Zyklen aufgeführt wurden.

Unter den Zyklen begeistern heute noch die „Geschichten der drei Reiche“ und „Die Metamorphose der Götter“. Der 71-jährige Schattenspieler Li Xuxian gilt als Erbe und Mittler seiner Kunst in Pingjiang. Er steht für den Überlebenswillen, mit dem sich das Schattenspiel gegen die zahlreichen neuen Unterhaltungsformen behauptet. Noch ist das Schattenspiel sehr populär bei der Landbevölkerung. Li ist ein vielbeschäftigter Mann. Besonders in der zweiten Jahreshälfte laufen die Geschäfte gut, er bringt es täglich auf 12 Aufführungen. Zu seinen Auftraggebern zählen Leute, die einen wichtigen Besuch empfangen – eine Schattenspiel-Aufführung gilt als Geste der Gastfreundschaft. Auch für Geburten wird er gern gebucht, oder für Geburtstage von Älteren. Oft ist sein Schattenspiel auch nach der Errichtung eines Hauses gefragt.
Viele Bauern suchen jedes Jahr im Frühling den Stadtgott auf, bitten um eine gute Ernte und legen ein Gelübde ab. Geht ihr Wunsch in Erfüllung, dann lassen sie zur Einlösung ihres Versprechens Schattenspiele aufführen.

Zwar ist unter den vielen Formen der Volkskunst in Pingjiang das Schattenspiel noch relativ lebendig. Und 2012 wurde es als „schützenswertes immaterielles Kulturerbe“ auf Provinzebene anerkannt.
Dennoch steht es auch in Pingjiang vor einem existenziellen Problem – es gibt kaum junge Spieler, die daran interessiert wären, es fortzuführen. Die meisten Aktiven sind um die 70 Jahre alt.
Man kann nur hoffen, dass durch für 2014 geplante Fortbildungsmaßnahmen und Anreize der Nachwuchs für diese Volkskunst gewonnen werden kann. Doch die finanziellen Aspekte stimmen skeptisch: Li Xuxian erhält für eine Aufführung mit drei Spielern nur etwa 200 Yuan. Das ist selbst auf dem Land kein erstrebenswerter Verdienst für junge Leute mehr.