Beitrag von Ma Shixin 马世新 für das Wochenmagazin Xinmin Zhoukan Nr. 14, April 2012, S.92.
Übersetzung:
Der Ständige Ausschuss des Staatsrats beschloss am 28. März die Errichtung der Wenzhou Finanzreform-Pilotzone und legte zwölf Hauptaufgaben fest. Nach Meinung des Verfassers sind die letzten zwei am wichtigsten: “11) Vervollkommnung des Systems der regionalen Finanzkontrolle, Vermeidung eines Kontrollvakuums sowie Vorbeugung systemischer und regionaler Risiken. 12) Einrichtung eines Risikenabwehrmechanismus für die Finanzreform.”
Schon 1987, nachdem das sich in der Stadt zwei Jahre lang großer Beliebtheit erfreuende neuartige “taihui”-System des privaten Geldverleihs zu hohen Zinsen plötzlich zusammengebrochen war, waren in Wenzhou die Lichter ausgegangen. Zahllose zur Raserei gebrachte Gläubiger hatten den “taihui”-Bossen die Türen eingerannt. In nur drei Monaten hatten sich wegen dieser Sache in der Stadt 63 Menschen das Leben genommen, über 200 waren untergetaucht, über 1000 wurden unrechtmäßigerweise festgesetzt, über 80.000 Haushalte waren verschuldet, mehr als 300.000 Leute waren in diese Sache verwickelt, bei der es um einen Gesamtbetrag von 1,2 Milliarden RMB ging. Im Winter 2011, 24 Jahre später, waren viele Untergrundbanken gezwungen, ihren Betrieb einzustellen, da ihre Hauptkunden ihre Schulden nicht bedienen konnten und deshalb untergetaucht waren. Was diesmal anders war: die Sache passierte im Haus der Untergrundbanken und ihrer CEOs, unter den Geschädigten befanden sich nicht nur Lohn- und Gehaltsempfänger und andere Vertreter der Basisschicht der Bevölkerung, sondern auch viele Regierungsbeamte. In ihren Augen war es ebenso sicher, das Geld in Untergrundbanken einzulegen wie bei den offiziellen Banken, nur dass der Ertrag um ein Vielfaches höher war, und sie betrachteten sich auch nicht mehr als Gläubiger, sondern als Sparer.
Erfinderin von Wenzhous “taihui”-System war die ehemalige Besitzerin eines Gemischtwarenladens Ye Sanfeng 叶三凤. Die von ihr konstruierten Produkte gehorchten dem klassischen Ponzi-Betrugsschema. Untergrundbanken sind ihrem Wesen nach ein Hochzins-Kreditunternehmen, mit hohen Zinsen werden Einlagen angezogen und gegen noch höheren Zinsen Kredite vergeben, aus der Zinsdifferenz wird Profit geschlagen. Aufgrund des Profit-Verfolgungs-Effekts des Geldes sind Mittel, die eigentlich Bankeinlagen werden sollten, in die Untergrundbanken geflossen. Deshalb haben es rechtmäßig betriebene Banken in Wenzhou alles andere als leicht; der hohe Entwicklungsstand der hauptsächlich im Hochzins-Geschäft tätigen Untergrundbanken ist es, was eigentlich das Wesen von Wenzhous überproportionaler Privatindustrie ausmacht. Die Schuldner der Untergrundbanken lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: Extrem aktive Investoren, auch “Spieler” genannt, die in Gruppen organisiert mit Immobilien, Kohle, Knoblauch, Jade und Rotwein spekulieren, sowie solche, die sich Geld leihen, um Löcher zu stopfen oder um ein Ponzi-Schema zu errichten. Bei den Letzteren ist eine Rückzahlung der Kredite gänzlich ausgeschlossen.
Von den vom Staatsrat festgelegten zwölf Hauptaufgaben der Wenzhouer Finanzreform-Pilotzone, schenken die Lokalregierungen wahrscheinlich Punkt 2 am meisten Beachtung, nämlich die Reform der Untergrundbanken hin zu Dorf- und Kleinstadtbanken, sogar mit der Hoffnung auf eine Marktorientierung des Zinses. Doch wenn die Finanzreform von Wenzhou nicht in Rechnung stellt, dass das wirkliche Finanzrisiko in dem mangelnden Finanzwissen der Leute und der unzureichenden Aufsicht durch den Staat besteht, dann wird aus der Umetikettierung der illegalen Untergrundbanken in legale Banken auf Dorf- und Kleinstadtebene mit Sicherheit ein noch schwerer zu entwirrendes Schlamassel resultieren.