Von Liu Haiying 刘海影. Originalartikel: ftchinese.com vom 8.11.2011.
Übersetzung:
China sollte die günstige Gelegenheit für eine Wechselkursreform ergreifen
Auf dem G20 Treffen der letzten Woche rief Chinas Staatspräsident Hu Jintao die Führungskräfte aller Länder dazu auf, die Schwellenländer nicht mehr zur Aufwertung ihrer Währungen zu drängen. Er schlug dabei die bis dato härtesten Töne Chinas in Bezug auf die Währungskurs-Problematik an. Diese Äußerung ist von großer Bedeutung und zudem politisch in höchstem Maß sinnvoll.
Bislang kamen die Stimmen, die eine beschleunigte Aufwertung des Renminbi fordern, hauptsächlich aus dem Ausland, doch es gibt auch Befürworter in China. Manche der dabei angeführten Argumente sind berechtigt, manche nicht, aber der Gesamteindruck legt nahe, dass das Tempo der RMB-Aufwertung derzeit gedrosselt und nicht beschleunigt werden muss.
Die Rufe nach einer Aufwertung aus dem Ausland entspringen Überlegungen im Zusammenhang mit der Balance der globalen Wirtschaft. Als klassischen Ausdruck des globalen Ungleichgewichts sehen diese Stimmen das enorme Handelsbilanzdefizit der entwickelten Länder, insbesondere der USA, und den massiven Handelsbilanzüberschuss der Schwellenländer und der Erdöl exportierenden Länder. Die krassen Handelsungleichgewichte führen zu grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen enormen Ausmaßes und zu Unwägbarkeiten, die die Gefahr einer unkoordinierten Regulierung der globalen Wirtschaft vergrößern. Abgesehen von Verantwortlichkeiten der entwickelten Länder, und rein unter dem Gesichtspunkt betrachtet, welchen Beitrag die Schwellenländer hier leisten können, sind für diese Fraktion ein verringertes Maß an Deviseninterventionen und weniger Unterbewertung der eigenen Währung wichtige Vorbedingungen für eine Förderung des globalen wirtschaftlichen Gleichgewichts.
2010 belief sich das Handelsbilanzdefizit der USA auf insgesamt 497,8 Mrd US-Dollar, davon nahm das Handelsbilanzdefizit mit China 273 Mrd US-Dollar ein, also mehr als die Hälfte. Ein Wegfall des Handelsbilanzdefizits der USA mit China würde das ernste Ausmaß des globalen Handelsungleichgewichts erheblich reduzieren.
Diese Stimmen sehen einen wesentlichen Grund dieses immensen Handelsbilanzüberschusses Chinas in einer Unterbewertung des Renminbi. In der Tat hat der RMB seit dem Beginn von Chinas Reform und Öffnung stetig an Wert verloren, vom niedrigsten Wert von 1.50 RMB pro 1 US-Dollar 1980 hat er bis 1993 auf 8.70 RMB abgewertet. Seit 2005 hat China mit einer graduellen Aufwertung des Renminbi begonnen, der letzte Stand zeigt eine Aufwertung auf 6.30 RMB pro Dollar. Doch obwohl die schrittweise Aufwertung bereits 27% erreicht hat, hält diese Partei nach wie vor an ihrer Auffassung eines übermäßig unterbewerten RMB fest.
Was ist nun ein vertretbarer RMB-Wert? Darüber gehen die Meinungen auseinander, eine einheitliche Antwort gibt es nicht. Aber es lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die RMB-Unterbewertung im Zuge der stetigen Aufwertung und der starken Reduzierung des chinesischen Handelsüberschusses bereits erheblich zurückgegangen ist. In letzter Zeit hat die Quotierung auf dem Offshore-Markt für Non-Deliverable-Forwards (NDF) bereits erkennen lassen, dass der Markt auf eine mögliche Abwertung des RMB in den nächsten 12 Monaten wettet, und nicht auf eine weitere Aufwertung.
In Wirklichkeit sollte man es richtiger so formulieren, dass nicht der RMB unterbewertet, sondern der US-Dollar überbewertet ist. Die Überbewertung des Dollars gegenüber anderen Währungen ist ein wichtiges logisches Kettenglied in Bezug auf das globale wirtschaftliche Ungleichgewicht. In diesem Umfeld hat die Unterbewertung des RMB – besonders in den zehn Jahren seit Chinas WTO-Beitritt – nur dazu geführt, dass das den USA schicksalshaft zugedachte Handelsbilanzdefizit zu einem Großteil auf zwei Typen von Ländern verteilt wurde: äußerst wettbewerbsfähige Länder, und Länder, die Güter mit minimaler Preiselastizität exportieren. Der klassische Vertreter des erstgenannten Typs ist China, für den zweiten Typ sind es die Erdöl exportierenden Länder. Entsprechend würde eine allzu rasche Aufwertung des RMB lediglich eine Neuverteilung des US-Handelsbilanzdefizits bewirken und kaum einen entscheidenden Beitrag zu seiner Reduzierung leisten.
Chinesische Befürworter einer beschleunigten RMB-Aufwertung haben hauptsächlich einige negative Auswirkungen des Handelsbilanzüberschusses auf Chinas Wirtschaft im Auge. Aus ihrer Sicht ist der Hauptgrund für Chinas auf hohem Niveau verharrende Inflation die Geldschwemme, die durch die Devisen im Zusammenhang mit dem Handelsbilanzüberschuss generiert wird.
Diese Meinung ist nicht korrekt, vor allem, weil ihr ein falsches Verständnis vom Verhältnis zwischen Geldemission und Inflation zugrunde liegt. Der Verfasser hat dies in einem früheren Artikel analysiert. Einfach ausgedrückt: in einem Umfeld, in dem es der Administration untersagt ist, zu ihrer Verschuldung die Zentralbank zur Geldemission zu veranlassen, stellt die Geldausgabe der Zentralbank nur eine Umwandlung von Liquidität dar: mit dem Gegenwert der RMB-Liquidität wird die Dollar-Liquidität ersetzt, was aber durchaus nicht dazu führt, dass realen Subjekten (wie z.B. der chinesischen Regierung vor dem Inkraftreten des Zentralbankgesetzes von 1995) grundlos Kaufkraft zugeführt wird, deshalb wird dadurch auch der für jede Währungseinheit stehende Wert nicht geschmälert.
1995 hielt sich Chinas Gesamtinflation auf einem stets relativ niedrigen Niveau (durchschnittlich 2,2%), die Ausschläge waren hauptsächlich zyklische Phänomene, die von einer nicht durch Produktionskapazitäten gestützten außerordentlichen Kaufkraft getrieben wurden, wie Haushaltsdefzite, übermäßige Investitionen, und Handelsbilanzüberschuss. Mit der Geldemission hatten diese Schwankungen nicht viel zu tun.
Daraus wird klar, dass eine starke RMB-Aufwertung am Zustand des US-Handelsbilanzdefizits nichts ändern kann, und dass sie auch nicht viel beitragen kann beim Inschachhalten der Inflation. Im Gegenteil, wenn der RMB in der jetzigen wirtschaftlichen Lage weiterhin schnell aufwertet, erleidet Chinas Wirtschaft wahrscheinlich einen substanziellen Schaden.
Gegenwärtig ist Chinas Wirtschaftswachstum kontinuierlich rückläufig, in den vier Phasen von Erholung, Boom, Stagnation und Rezession befindet es sich in der Phase der Rezession. Ausdruck dessen ist die bewußte Reduzierung der Lagerbestände im mikroökonomisch-realwirtschaftlichen Bereich als Reaktion auf den Rückgang des Wachstums. Kennziffern wie die Geldmenge, die Rendite von Staatsanleihen, die Zinsdifferenz, die anwachsende Summe der noch zu tilgenden Kredite, der Güterpreisindex und der Anstieg der Unternehmensgewinne bestätigen zusammengenommen eine tendenzielle Veränderung und deuten darauf hin, dass der Rückgang des chinesischen Wirtschaftswachstums durchaus keine kurzfristige Erscheinung ist.
Noch schwerwiegender ist die zeitliche Verzögerung zwischen den Schwellenländern und Industrieländern von etwa zwei Quartalen. Die Auswirkungen der schwachen US-Wirtschaft und der sturmgepeitschten europäischen Wirtschaft auf die Schwellenländer haben noch nicht voll durchgeschlagen, und die letztgenannte nimmt mehr als 50% von Chinas Export auf. In so einem Umfeld wird es beim chinesischen Exportwachstum kaum eine Wende geben, und ein Rückgang auf ein einstelliges Niveau in 2012 ist nicht auszuschließen.
Die Bedeutung des Exportwachstums für Chinas Wirtschaft ist größer als allgemein angenommen. Chinas Exportwachstum seit 2001 übersteigt 600%: es bildete letztlich die Triebkraft für das Upgrading und den Generationswechsel in Chinas Industrie und verlieh der Urbanisierung, dem Infrastrukturaufbau und den Investitionen in Festanlagen in jeweils gewaltigem Umfang wirtschaftlichen Sinn. Außerdem war der Export der Hauptgrund dafür, dass die verschiedenen Investitionsblasen und Produktionsüberkapazitäten keine Wirtschaftskrise herbeiführten. Sein Beitrag zur chinesischen Wirtschaft lässt sich nicht lediglich am Anteil des Handelsbilanzüberschusses am BIP messen. Sobald das Exportwachstum allzusehr schwächelt, werden nicht nur sogleich Phänomene wie Massenarbeitslosigkeit und eine KMU-Pleitenwelle zutage treten, sondern es werden durch das Zurückgehen der Investitionsrenditen und auf andere Weise mehr Investitionsprojekte scheitern. Daraus entstehen Probleme wie notleidende Kredite, Investitionsrückgang und eine rapide sinkende Binnennachfrage, was eine normale Abkühlung der chinesischen Wirtschaft zu einer harten Landung ausarten lässt. Der durch den Exporteinbruch in 2008 herbeigeführte wirtschaftliche Schlag mag hier als historische Warnung dienen.
Die derzeit vordergründig starke Konjunktur ist nicht stabil. Gleichzeitig kann man getrost voraussagen, dass sich in der bewussten Phase der Lager-Reduzierung, in die die Wirtschaft jetzt eintritt, die Inflationsgefahr schnell in den Hintergrund rückt. Nach unserer Modellschätzung könnte der Konsumentenpreisindex 2012 um 2.5% weniger steigen. Deshalb ist das derzeitige Hauptdilemma der chinesischen Wirtschaft, wie man mit der unmittelbar bevorstehenden Situation eines sich schnell abschwächenden Wirtschaftswachstums fertig wird. Hier ist ein stabiler Export besser als Investitionsanreize. Dies ist für die kurz-, mittel- und langfristige Sicherheit von Chinas Wirtschaft von strategischer Wichtigkeit. Und für die Stabilisierung des Exports ist neben einer verstärkten Kreditflankierung und anderen strukturellen Maßnahmen die Verhinderung einer beschleunigten RMB-Aufwertung die wichtigste politische Variable.
Die Verhinderung einer übereilten RMB-Aufwertung wird wahrscheinlich auf großen internationalen Widerstand stoßen. Im letzten G-20-Kommunique wurde allen Ländern abgefordert, schnellstmöglichst zu einem marktwirtschaftlichen Wechselkursbildungsmechanismus überzugehen. Hier sollte China einerseits der Welt geduldig seinen Standpunkt erklären, und dies in einem bestimmten Ton. Mit seinen diesmaligen Äußerungen hat Präsident Hu seinen Standpunkt wirksam vertreten. Andererseits hat China in Wahrheit auf der konkreten politischen Ebene erheblichen Spielraum. Konkret ist damit gemeint, dass China unter Beibehaltung des Systems der Kapitalbeschränkung die Bandbreite des RMB-Verhältnisses zum Dollar mutig vergrößern kann, um so durch eine stärkere Oszillation eine dynamische Stabilität des RMB zu erreichen.
Diese politische Maßnahme hat sehr hohe Erfolgschancen. Die Gewinnmargen der Exportunternehmen sind dünn, die Arbeitskosten steigen ständig, der Handelsbilanzüberschuß sinkt drastisch, die Erträge sinken, der Kapitalmarkt ist schwach, was eine schnelle RMB-Aufwertung unwahrscheinlicher macht, und die schwächelnde Wirtschaft im Ausland sowie das System eines streng reglementierten Kapitalmarktes haben die Wahrscheinlichkeit eines schnellen Wertverlusts des RMB verringert. Dazu kommt, dass die chinesische Regierung über Devisenreserven im Wert von 3,2 Billionen US-Dollar verfügt und damit über enorme Finanzkraft, Bonität und strategisches Einschüchterunspotenzial. So kann sie beim Ringen mit den Märkten verhindern, dass der RMB die festgesetzte Wert-Bandbreite verläßt.
So wird das Wechselkursregime des RMB marktwirtschaftlicher und erreicht zudem eine dynamische Stabilität, wenn erst die einseitigen Aufwertungserwartungen des Markt durchbrochen sind. Jetzt ist die beste Gelegenheit für die seit vielen Jahren erwartete Reform des Systems der Wechselkursbildung, und zum jetzigen Zeitpunkt würden politische Maßnahmen auch ihre größte Wirksamkeit entfalten. Es ist zu hoffen, dass die chinesische Regierung zum richtigen Zeitpunkt und mit Augenmaß mutige Entscheidungen trifft und diese rare Gelegenheit beim Schopf packt.