Chinas Bodennutzungssystem und die Verschuldung auf lokaler Ebene 征地制度是地方债膨胀的根源

Von Wang Zi 王子. Originalartikel: ftchinese.com vom 8.9.2011.

Übersetzung:

Das Landrequirierungssystem ist die Ursache für die wachsende Verschuldung der Lokalregierungen

Seit 2009 stößt die rasch anwachsende Verschuldung von Chinas Lokalregierungen auf breite Aufmerksamkeit. Dem Staatlichen Rechnungshof zufolge sind die offenen Verbindlichkeiten der Lokalregierungen im Gesamtjahr 2009 um 61,92% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, was einem Anteil von 18% an den gesamten normalen Krediten und 32,4% an ausstehenden Krediten mit mittlerer und langer Laufzeit entspricht. Die 2009 neu aufgenommenen Kredite der Lokalregierungen machen jedoch 29% der gesamten neu aufgenommenen Kredite aus und haben einen Anteil von 41% an den neu aufgenommenen mittel- bis langfristigen Krediten. Daraus wird klar, dass die Schulden der Lokalregierungen sowohl von ihrem absoluten Volumen wie ihrer Anstiegsrate her seit 2009 eine wesentliche Rolle bei der Kreditaufblähung spielen.

Warum wachsen die lokalen Schulden so schnell an, dass dies zu einem Brennpunkt des allgemeinen Interesses wird? Eine übliche Erklärung ist, dass die Zentralregierung als Reaktion auf die globale Finanzkrise eine laxe Geldpolitik gefahren habe, und dass dies die kommunalen Schulden anwachsen ließ. Jedoch geht aus der Untersuchung des Rechnungshofs hervor, dass die Schulden der Lokalregierungen seit 1998 stetig um über 20% gestiegen sind. Die makroökonomische Steuerung hat nur einen Ausschlag beim Volumen der lokalen Schulden ausgelöst, jedoch nichts an der allgemeinen Tendenz eines rapiden Anstiegs geändert. Mit anderen Worten: die galoppierende Verschuldung der Lokalregierungen ist ein langfristiges Phänomen und hat langfristige systemische Ursachen.

Ein weiteres verbreitetes Argument ist das Mißverhältnis zwischen Zentrale und Lokalebene bei Finanzen und Aufgaben, das dazu führt, dass die Lokalregierungen auf Kreditaufnahme zum wirtschaftlichen Aufbau angewiesen sind. Jedoch liegt der Schwerpunkt des Problems nicht bei diesem starken Kredithunger, sondern bei der Frage, ob ihm angemessene Grenzen gesetzt werden, denn ohne sie führt jeder Hunger zu übermäßiger Nachfrage. Schranken für die Kreditaufnahme bestehen in Vermögenswerten, die als Sicherheit gegeben werden müssen, deshalb muss man bei der Ursache für die grassierenden Lokalschulden bei den Werten ansetzen, die als Sicherheit dienen.

Laut Statistik bestanden Ende 2010 80% der lokalen Schulden aus Bankkrediten, und bei ca. 40% der von den Lokalregierungen zurückzuzahlenden Kredite dienten Erlöse aus Landverkäufen als Sicherheit. Außerdem gab es einen sehr hohen Anteil an Projekten, die keine Cashflow-Rendite erwirtschafteten und die in Wirklichkeit auf folgende Gelder zur Rückzahlung ihrer Schulden angewiesen waren: Erlöse aus Landverkäufen und durch Land besicherte Refinanzierung. Dies genau macht deutlich, dass die Ursache für die grassierende kommunale Verschuldung nicht beim Finanzmarkt liegt, auch nicht bei der Geldpolitik der Regierung, sondern nirgendwo anders als beim immensen Landbesitz der Lokalregierungen.

Dieser umfangreiche Landbesitz ist jedoch nicht durch Markttransaktionen entstanden, sein Hauptanteil entsteht durch Requirierung. Mit Requirierung ist gemeint, dass man mithilfe von administrativem Zwang Land von Bauern und anderen Subjekten übernimmt und einen Grundstücksvorrat für den Verkauf daraus macht. Die Kosten liegen bei einer Requirierung natürlich weit unter dem Marktpreis. Nach Studien einer Forschungsgruppe Boden der National School of Development an der Peking-Universität in Bezug auf den Landtransfer liegt der durchschnittliche Erlös pro Mu (entspricht 1/15 Hektar) für Bauland bei 393.000 Yuan, wenn die Bauern eigenständig mit Investoren in Kontakt kommen; die Entschädigung für requiriertes Bauland beträgt durchschnittlich 269.000 Yuan pro Mu. Der Verkaufspreis für staatseigenes Land beträgt jedoch durchschnittlich 673.600 Yuan pro Mu.

Betrachtet man den Erlös der Bauern, die selbst mit den Investoren in Kontakt getreten sind, als den Marktpreis, dann ist die Regierung über eine weit unter dem Marktpreis liegende Entschädigung an Land gekommen, um es dann zu einem weit über dem Marktpreis liegenden Preis zu verkaufen, und das enorme Preisgefälle dabei bildet die Cashflow -Grundlage für die Kreditaufnahme im großen Stil durch die Lokalregierungen.

Noch wichtiger ist, dass die Lokalregierungen das Angebot an städtischen Baugrundstücken monopolisieren. Das heißt, die Preise für städtischen Grundbesitz bilden sich zu einem großen Teil durch das Angebotsverhalten der Lokalregierungen. Mit Vermögen, dessen Preis man selbst beeinflussen kann, als Sicherheit, ist das Verschulden für die Lokalregierungen natürlich ein Leichtes, außerdem sprechen Banken und Ratingagenturen nacheinander der Rückzahlungsfähigkeit der Lokalregierungen ihr Vertrauen aus, auch darin liegt der eigentliche Grund für die Verschuldung.

Da die Lokalregierungen unter dem Landrequirierungsungssystem das städtische Flächenangebot monopolisieren, sind sie vor dem Hintergrund einer rasanten Urbanisierung mit ihrer mühelosen Verfügung über riesige Landressourcen außerordentlich befähigt, Kreditwürdigkeit aufzubauen. Das führt dazu, dass den Lokalregierungen, denen das Gesetz verbietet, sich zu verschulden und deren offizielle Kanäle zur Kreditaufnahme so äußerst begrenzt sind, die Möglichkeit erhielten, sich schnell und in großem Umfang zu verschulden. Diese mächtige Fähigkeit zur Kreditwürdigkeit war in der Tat wichtig bei der Bewältigung der Finanzkrise und bei der Ankurbelung der Gesamtnachfrage, um schnell aus der Talsohle herauszukommen. Aber brauchen wir langfristig wirklich Lokalregierungen mit einer derart immensen Fähigkeit zur Kreditwürdigkeit?

Diese enorme Fähigkeit kommt durch eine gleichzeitige Verzerrung des Boden- und des Kreditmarktes zustande. Die Lokalregierungen (…) eignen sich mit der einen Hand billig Land an, um es mit der anderen zu hohen Preisen zu verkaufen. Die Aneignung von Grund und Boden zu niedrigen Preisen löst bei den Landnutzern heftige Reaktionen aus, die Konflikte bei Landrequirierung, Abriß und Umsiedlung verschärfen sich von Tag zu Tag; durch diese Reibungen im System gleichen sich die Landrequirierungskosten stetig an die Marktpreise an.

Rechnet man letzlich die Kosten für “Stabilitätswahrung” mit ein, dann erreichen die Requirierungskosten möglicherweise die Marktpreise, dies ist jedoch das Resultat heftiger gesellschaftlicher Konflikte. Auf der anderen Seite verzerrt der Landverkauf zu hohen Preisen das urbane Grundstücksangebot und vermehrt so die Unwägbarkeiten in diesem Bereich. Das Horten von Land durch die Developer ist nichts anderes als eine Reaktion auf diese Unwägbarkeiten.

Die Verzerrung des Kreditmarkts zeigt sich in der Unausgeglichenheit der Kreditstruktur. Mit der durch das administrative Monopol generierten immensen Kreditwürdigkeit kommen die Lokalregierungen an Kredite, die sie für zahlreiche Projekte einsetzen, bei denen die Cashflow-Rendite sehr niedrig oder gar Null ist. In Zeiten von Niedrigzins und kontrolliertem Kreditvolumen okkupieren diese Lokalregierungen Bankkredite, die sonst der private Sektor, besonders die kleinen und mittleren Unternehmen erhalten hätten. Dass in diesem Jahr der private Kreditzins astronomische Höhen erreicht hat – der Jahreszins überschritt sogar 100% – hat sehr viel damit zu tun, dass die Banken die Kredite für den privaten Sektor noch mehr verknappt haben, um die laufenden Bauprojekte der Lokalregierungen abzusichern.

Außerdem schmälert die immense Kreditwürdigkeit der Lokalregierungen die Wirkung der Makrosteuerungen. Die den Lokalregierungen durch ihre Ressourcen an Land zuwachsende Kreditwürdigkeit steht in keiner engen Beziehung zur Geldpolitik der Zentralregierung, was den Handlungsspielraum der Geldpolitik im herkömmlichen Sinne einengt. Um die Geldmenge zu verknappen, steht der Zentralbank nur das Instrument der Kontrolle der Kreditmenge zur Verfügung, diese Art von Kontrolle führt jedoch aufgrund der oben analysierten Verzerrung des Kreditmarkts dazu, dass sich der private Sektor einer noch stärkeren Verknappung gegenübersieht, wodurch die makroökonomische Oszillation verstärkt wird.

Zum Schluß ist noch zu beachten, dass verglichen mit anderen Methoden der Kreditaufnahme, der Landbesitz neben dem schnellen und umfangreichen Ansichbringen von Krediten noch das Merkmal schlechter Überwachbarkeit hat. Bei den Verbindlichkeiten der lokalen Kreditvehikel wird oft entdeckt, dass Grundbesitz mehrfach als Sicherheit hinterlegt wurde, oder dass sein Schätzpreis überhöht war, oder dass er überhaupt nicht existierte. Der unvollständige Datenabgleich zwischen den Banken und der staatlichen Verwaltung der Bodenressourcen stellt von der administrativen Seite her ein Schlupfloch zur Verfügung. Zahlreiche Regelwidrigkeiten und sogar Gesetzesverstöße auf lokaler Ebene verschärfen die Schwierigkeiten bei der Überwachung von mit Grundbesitz besicherten Krediten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Grunde das Landrequirierungssystem die grassierende Verschuldung der Lokalregierungen verursacht hat. (…) Doch dieses System der „Finanzierung durch Land“ verzerrt sowohl den Boden- wie den Kreditmarkt, es vermindert die Möglichkeiten makroökonomischer Steuerung und verstärkt die makroökonomische Oszillation. Die durch die „Finanzierung durch Land“ ausgelösten sozialen Reibungen und der strukturelle Ungleichgewichtsverlust haben uns bereits einen allzu hohen Preis abgefordert.

Wir müssen uns noch langfristigere Systemreformen überlegen, um die auf den beiden Märkten bestehende Verzerrung zu beseitigen. Wir sollten das Landrequirierungssystem reformieren, die Landnutzungs-Festlegung energisch vorantreiben und das kollektive Bauland direkt dem Markt zuführen, wir sollten das Monopol der Lokalregierungen beim städtischen Landangebot durchbrechen, damit die städtischen Landressourcen wirklich über den Markt alloziiert werden. Gleichzeitig sollte man den Aufbau eines Bondmarktes für die Lokalregierungen und für urbane Investitionen festigen, den Kreis der zur Anleihenemission berechtigten Subjekte vergrößern, die Bedingungen für Emissionen lockern und den Bondmarkt vertiefen und vergrößern, damit die Finanzierungswege der Lokalregierungen von einer stark verzerrten, schwer zu überwachenden „Finanzierung durch Land“ zu einem weniger verzerrten, transparenteren Bondmarkt übergehen können. Erst das wäre ein durchgreifender Ansatz zur Regulierung und Überwachung der lokalen Schulden.

(Autor ist Doktorand an der Pennsylvania State University; Übersetzung an zwei Stellen gekürzt.)