Die Marktsteuerung in Chinas Immobiliensektor sollte nicht gelockert werden中国房地产调控不应放松

Von Ni Jinjie 倪金节. Originalartikel: ftchinese.com vom 1.11.2011.

Übersetzung:

Chinas Immobilienmarkt kommt allmählich in eine heikle Phase, in der bereits die kleinste Unruhe ausreicht, um bei den verschiedenen Interessengruppen die verschiedensten Deutungsversuche auszulösen. In einer Phase, in der dem Immobilienmarkt frostige Zeiten bevorstehen, werden die Nerven der auf eine Lockerung der makroökonomischen Steuerung und eine Rückkehr der schönen Zeiten hoffenden Interessengruppen besonders empfindlich. In der Folge werden große Mengen von vagen und gerüchtartigen Informationen herumschwirren. Bevor der heiß ersehnte Politikwandel kommt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als das frostige Klima im Immobiliensektor auszuhalten.

In letzter Zeit hat sich Ministerpräsident Wen Jiabao in Nanning in der Provinz Guangxi und dann in Tianjin informiert und dort eine Konsolidierung der Erfolge der Immobilien-Steuerung sowie – angesichts der neuen wirtschaftlichen Entwicklungen – ein angemessenes präventives Finetuning der Geldpolitik gefordert, um makroökonomische Stabilität sicherzustellen. Besonders das von Wen Jiabao in Tianjin geforderte „makroökonomische Früh- und Fine-Tuning zur rechten Zeit und mit Augenmaß“ hat die Bauunternehmer und Lokalregierungen Licht am Ende des Tunnels ihrer Nöte erblicken lassen. In ihren Augen wird aus der jetzigen gezielten Lockerung mit großer Wahrscheinlichkeit im nächsten Jahr eine umfassende Lockerung werden.

Der Unmut im Lager der Immobilien-Skeptiker ist jedoch umso stärker, ein möglicher bevorstehender vorzeitiger Abbruch der Immobilien-Steuerung bereitet ihnen große Sorgen. Alles in allem hat jetzt, im heikelsten Moment der Immobilien-Steuerung, die Frage, ob die makroökonomische Politik letztlich dem Druck von allen Seiten standhalten kann, ihren entscheidenden Punkt erreicht.

Gerade zu einer Zeit, in der das Umfeld von einem erneuten Scheitern der derzeitigen Immobilien-Steuerung ausgeht, wurde in einer von Wen Jiabao am 29.10. einberufenen und geleiteten Sitzung des Ständigen Ausschusses des Staatsrats erneut die volle Verantwortung aller Lokalregierungen für die weiterhin strenge Umsetzung der Politik und eine verstärkte Festigung der Erfolge der Steuerung gefordert. Insbesondere wurde erstmals die Formulierung „eine angemessene Anpassung der Immobilienpreise voranzutreiben“ verwendet. Damit wurde im Wesentlichen der ursprünglichen Überinterpretation der „Tianjiner Rede“ von Wen Jiabao der Wind aus den Segeln genommen; die Steuerung des Immobiliensektors wird kaum in naher Zukunft vorzeitig aufgegeben. Wenn man das jetzt täte, dann hätte man sich den Mißerfolg selbst zuzuschreiben.

In der Tat gibt die momentane wirtschaftliche Lage nicht annähernd Anlass zu Optimismus. Die strikten Kaufbeschränkungen auf dem Immobilienmarkt und die restriktive Geldpolitik haben viele Bereiche der Volkswirtschaft und zahlreiche Bevölkerungsgruppen unberechtigt in Mitleidenschaft gezogen. Die Geschäfte der kleinen und mittleren Unternehmen gehen schlecht, von der ohnehin drastischen Lage im Im- und Export ganz abgesehen sind viele Branchen durch die Stagnation des Immobiliensektors in die Rezession gerutscht. In den letzten Monaten befand sich Chinas Markt für Baumaterialien ganz offensichtlich im freien Fall, auch der internationale Markt für Gros-Güter schwächte sich aufgrund eines möglichen abrupten Nachfrageeinbruchs von Seiten Chinas merklich ab. Die Preise für Kupfer, Aluminium und andere Nicht-Eisen-Metalle fielen auf Rekordtiefs, in vollem Gegensatz zu den stolzen Höhenflügen der letzten zwei Jahre. Das alles ist ein Signal an die Märkte: die durch die Abkühlung des chinesischen Immobiliensektors herbeigeführte wirtschaftliche Abschwächung nähert sich im Eiltempo, und wenn die Euro-Schuldenkrise weiter eskaliert, rückt die globale wirtschaftliche Erholung in weite Ferne.

So scheint es als die natürlichste Sache der Welt, nach einer Politik der Lockerung zu rufen. Die das tun, können ungezählte negative Beispiele anführen, die die verheerende Lage von Chinas Wirtschaft verdeutlichen. Man muss nur mit einem beliebigen Firmenchef in der südöstlichen Küstenregion sprechen, oder auch nur mit dem Inhaber eines Gemischtwarenladens – alle werden darüber klagen, wie schwer es ist, in diesen Zeiten über die Runden zu kommen.

Aber waren denn nicht all die derzeitigen wirtschaftlichen Erscheinungen bereits vor gut einem Jahr, als der Mindestreservesatz der Banken erhöht wurde und die Kaufbeschränkungen zu greifen begannen, für die Führung und die Bevölkerung vorhersehbar? Zumal die Situation in der Periode makroökonomischer Steuerung von 2006 bis 2008 durchaus nicht so verschieden von der heutigen war. 2011 ist lediglich eine Upgrade-Version von 2008. Damals wäre ohne den Einbruch der globalen Finanzkrise die makroökonomische Steuerung nicht so schnell beendet worden. Heute sind wir wieder an einem Zeitpunkt vor dem September 2008 angekommen, als die Politikmaßnahmen begannen, Wirkung zu zeigen. Wird die makroökonomische Steuerung wieder nicht standhalten?

Anfang dieses Jahres ließ man noch die Lokalregierungen die Ziele für die Steuerung der Immobilienpreise festlegen und die Kaufbeschränkung voll umsetzen; der Verfasser glaubt auf keinen Fall, dass jetzt, nur zehn Monate später, die Steuerung im Immobiliensektor wegen momentaner kleiner Schwierigkeiten sofort gelockert wird. Meint man denn im Ernst, die Zerstörung von Showrooms durch Leute, die schon Wohnungen gekauft haben, und das Reißen von Finanzierungsketten bei den Developern seien eine große Sache? All das ist nicht der Rede wert im Vergleich mit den großen strategischen Zielen der Erholung von Chinas Realwirtschaft und der Befreiung von der Immobilienblase. Alle derzeitigen Probleme sind nichts weiter als das Resultat der Verspätung von politischen und wirtschaftlichen Reformen.

Alle konzentrieren sich auf den Ausspruch “politische Früh- und Feinsteuerung” von Wen Jiabao, doch der Ministerpräsident hatte bei der selben Gelegenheit doch noch Folgendes gesagt: „Die Finanzkrise hält bereits vier Jahre an, und die größte Lehre, die ich aus diesen vier Jahren gezogen habe, ist: will ein Land eine Krise meistern, so benötigt es eine entwickelte Realwirtschaft, und in dieser Realwirtschaft müssen innovative und wissenschaftlich-technologische Industrien führend sein. Nur so sind wir in der Lage, die Auswirkungen einer Blasen-Wirtschaft auf die Staatsfinanzen und das Geldwesen zu reduzieren, wie auch die Auswirkungen des internationalen Finanzmarktes auf uns.”

Der richtige Weg für China in den nächsten zehn Jahren wird zweifelsfrei sein, sich von Immobilienblasen loszusagen und zu einer prosperierenden Realwirtschaft überzugehen. Wenn jetzt wieder geldpolitische Stimulationsmaßnahmen auf den Weg gebracht werden und die Wohnungspreise aufs Neue in die Höhe schnellen, dann wird China die letzte Chance auf eine Erholung der Realwirtschaft verpassen.

Man muss wissen, dass wir uns in einer Zeit einer neuen industriellen Revolution befinden. Nach der großen Krise werden sich in Europa und den USA rasch neue Industrien und neue Technologien entwickeln. Zwar sieht es derzeit dort chaotisch aus, doch bald werden dort neue Industrien auftauchen, die in der Lage sind, die Motoren einer neuen Wachstumsrunde zu werden. Der Ministerpräsident hatte im „Arbeitsbericht der Regierung“ zum Jahr 2010 auch betont: “Die internationale Finanzkrise ist dabei, Geburtshelfer einer neuen technologisch-wissenschaftlichen Revolution und einer industriellen Revolution zu werden.” Viele neue Begriffe und Produkte, von denen man vor ein paar Jahren noch nicht einmal eine Vorstellung hatte, sind in den letzten Jahren auf breiter Front aufgetaucht.

China aber ist dabei, im Bereich der technologisch-wissenschaftlichen und industriellen Erneuerung erneut abgehängt zu werden. Wenn jetzt nicht eine große Revolution im Immobiliensektor erreicht wird, dann wird das ganze Land wie bisher fest im Bann der Immobilienblase bleiben. Und wenn man in zehn Jahren zurückblicken wird, dann sind wir mit Sicherheit ein weiteres Mal in den Startlöchern stecken geblieben. Deswegen muss die makroökonomische Steuerung diesmal dem Druck standhalten und den Systemwandel vorantreiben.

Autor ist Gastforscher am Institut der PICC Asset Management Company Ltd. Vor kurzem erschien sein Buch ” 好泡沫还是坏泡沫“ (“Gute Blase, schlechte Blase?”) im Verlag China CITIC Press.